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Der Tag der toten Ente

  • Seebee
  • 28. Aug. 2023
  • 2 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 13. Sept. 2023


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Es ist eine kurze Geschichte und eine traurige. Sie beginnt an einem schönen Sommermorgen Anfang Juli gegen 6:30. Ich stehe in meiner Küche, mache mir Kaffee und schaue aus dem Küchenfenster. In einer der Parkbuchten steht ein glänzender roter 2CV mit Berliner Oldtimerkennzeichen, den ich hier noch nie gesehen habe. Ich bin entzückt. So was wollte ich auch immer – bin mittlerweile aber bei einem Youngtimer V70 gelandet, der mir so ans Herz gewachsen ist, dass das mit mir und einer Ente wohl nix mehr wird.

Nach dem Kaffee packe ich Schlafsack, Zelt und Rucksack in meinen Volvo, weil ich eine Nacht mit meiner Schulklasse am Motzener See verbringe. Als ich am nächsten Tag zurückkomme ist die Ente zerstört. Die Scheiben zersplittert, die Karosserie zusammengetreten. Die Besitzer – ein älteres Paar, das in einer Querstraße etwas weiter unten wohnt - sind in Tränen aufgelöst. Sie hatten in ihrer Straße keinen Parkplatz gefunden und sich nichts dabei gedacht sie hier abzustellen. Gestohlen wurde nichts. War ja auch nichts drin, was sich zu stehlen gelohnt hätte.


Zerstörungswut ist hier mittlerweile an der Tagesordnung. Abgetretene Autospiegel, umgeworfene Motorräder, zersplitterte Flaschen... . Begleitet werden diese Aktionen in der Regel von lauten, aggressiven Wutausbrüchen, die klingen, als ob jemand seinen ganzen Hass auf die Welt und sich selbst in mehreren Schwällen auf das Pflaster auskotzt.


Am Nachmittag sitzen eine junge blonde Frau und zwei arabisch aussehende Männer auf dem Grünstreifen zwischen Radweg und Parkmauer. Es ist heiß und in meinem Auto sind noch eine ganze Menge Wasserflaschen vom Camping übrig, die ich ihnen schenken kann.

„Was ist hier eigentlich gerade los?“, will ich wissen und unterbreche die Frau, die beim Näherkommen immer mehr wie ein junges Mädchen aussieht, bei ihrer Lektüre von „Bob der Streuner“. „Warum werden die Junkies immer aggressiver?“

„Das liegt am Stoff“, sagt sie, „der wird immer schlechter! Wir brauchen den Kick – und er bleibt aus. Das macht dann aggro. Ich bin so aber nicht. Mich halten meine Bücher über Wasser, wenn es mir ganz Scheiße geht.“ Sie deutet auf ihren Rucksack in dem sich noch zwei weitere Bücher befinden und ihre streichholzdünnen Arme und Beine erwecken auch nicht den Eindruck, als ob sie die Kraft hätte, irgendetwas zu zerstören.

Ihr rechter Oberarm ist fachmännisch bandagiert und darunter zeichnet sich eine dicke Schwellung ab.

„Was ist mit deinem Arm?“, frage ich.

„Ein Abszess – muss eigentlich operiert werden, Ich habe auch einen Einweisungsschein und könnte jederzeit ins Krankenhaus. Aber dafür müsste ich drei Tage clean sein – also auf Methadon. Krieg ich gerade nicht hin. Mein Mann ist vor ein paar Wochen gestorben – Leberzirrhose…“

Sie zuckt mit abwesendem Blick mit den Schultern. Sie ist 24…


 
 

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