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Sign of the Times, Kapitel III: Wie haben wir früher eigentlich ohne die passende App überlebt?

  • Seebee
  • 21. Sept. 2023
  • 3 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 6. Nov. 2023


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3. Let's come together

Die Beschriftung der Hinweisschilder auf einem Spielplatz richtete sich in Berlin schon immer nach der Klientel, die diesen Platz mit ihren Kindern bespielt. In Kreuzberg und Neukölln fanden sich daher viele in deutscher und türkischer Sprache und im Osten der Stadt konnte man durchaus auch einige mit kyrillischen Lettern finden.

Heute zieren das Eingangstors des Görli-Spielplatzes – neben den sprachunabhängigen und daher allgemeinverständlichen Piktogrammen (keine Hunde hier kacken lassen, keine Drogenspritzen im Sandkasten und bitte auch keine Bierflaschen) – zwei einladende laminierte Plakate von „mello“, eines 2020 gegründeten Startups, das mittels einer App junge Eltern miteinander verknüpft, was gemeinsame Aktivitäten, Kinderbetreuung, Freizeittipps, Tausch oder Verkauf von Kinderkrimskrams etc. angeht. Die Plakate und auch die App gibt es auf Deutsch und auf Englisch.


In unserem Kiez gibt es wieder mehr Kinder als früher. Die Anwohner, die hier schon seit vielen Jahren, häufig Jahrzehnten leben, sind zwar längst über das Alter hinaus, Kinder im spielplatzbedürftigen Alter zu haben, aber in die wenigen freiwerdenden Miet- oder die neuen Eigentumswohnungen ziehen nicht selten auch finanzkräftige junge Paare mit Kindern oder Kinderwunsch. Und ein Park direkt vor der Haustür klingt attraktiv – auch wenn es der Görli oft nicht ist – und hindert Eltern nicht daran, ihre kleinen Nackedeis in den Wasserbecken zwischen dem Dealerspalier planschen zu lassen. Aber Kinder verstehen ja auch oft nicht, warum der Mann oder die Frau so komisch geht, so laut rumschreit, warum die schwarzen Männer plötzlich alle weglaufen, wenn das Polizeiauto kommt und warum an unseren Spielplätzen ein Bild von einer durchgestrichenen Spritze hängt.


Wir haben natürlich auch noch einige türkische und arabische Kinder nebst ihren Muttis im Park, vor allem am Wochenende, wenn rund um den Spielplatz die Holzkohlegrills mit Lammkottelets und Köfte bestückt werden, Rauchschwaden über den Grillflächen liegen und getanzt und gefeiert wird. Aber Englisch als Amtssprache zwischen Müttern und Vätern setzt sich immer mehr durch, denn sie kommen aus Spanien, Italien, der Schweiz, Kroatien, den USA, Frankreich, Portugal, Indien, Südamerika… und sie sind keine Flüchtlinge, sondern gut ausgebildete Akademiker, denen hier in den eingängigen Sparten (IT oder „was mit Medien“) die Türen der Startups offenstehen. Daher macht mellos Konzentration auf eben diese Zweisprachigkeit durchaus Sinn.

Ebenso kiezpopulär und zunehmend auf die gleiche Zweisprachigkeit fokussiert ist die App „nebenan“, ein zugegebenermaßen recht nützliches Ding, wenn es um entlaufene Katzen, kleine Ausstellungen oder Konzerte im Kiez, verlorenen und gefundene Dinge oder schnelle Hilfsangebote bei Reparaturdilemmas geht (Danke an dieser Stelle allen Nachbarn, die gerne mit offenen Augen und Hilfe bereit stehen!)… und manchmal weniger nützlich, wenn jemand eine bezahlbare Wohnung sucht, sich über irgendeine Baustelle oder die unfähige Bezirksverordneten Versammlung ausmähren muss oder wie neulich folgendes sucht: Stotternde Spielpartner/in für unseren Sohn gesucht!

Hintergrund: der Vierjährige stottert und um sein Selbstbewusstsein zu fördern sucht die engagierte Helikoptermutti Kinder mit ähnlicher Problematik, damit er mit seinen „Hüpfwörtern“ einen entspannteren Umgang lernt – nach dem Motto: „Schau, du bist nicht alleine, auch andere haben das!“


Mein erster Gedanke: Mitgefühl – arme Mutti, die nicht aushalten kann, dass der Kleine so ist, wie er ist und noch ärmeres Kind, das eine solche Mutti hat… .


Mein zweiter Gedanke: Doofe Kita – haben die da noch nie was von Integration von Kindern mit Besonderheiten gelernt. Jedes Kind ist doch individuell und hat Stärken und Schwächen. Das machen wir bei mir in der Schule doch ständig! Der tägliche Kampf um die Akzeptanz eines jeden, damit das heranwachsende Individuum sich selbst als völlig OK erkennt, auch wenn es anders spricht, anders geht, anders singt, anders aussieht… .

Als würden wir alle Legastheniker in eine Klasse packen, alle Asperger-Autisten oder alle obercoolen „Digga-Alta!“-Sprachredundanten… .


Mein dritter Gedanke: Ich entwerfe eine Anzeige: Suche für meine schielende Tochter (Strabismus des linken Auges mit Augenpflasters) eine/n Spielgefährtin/en mit ebensolcher Problematik – vorzugsweise auf dem rechten Auge – zur gemeinsamen Erweiterung des Horizonts.


Ich habe die Anzeige nicht geschrieben – aber neugierig, wie ich bin, nach drei Wochen nochmal nachgesehen, ob sich Eltern mit stotternden Kindern auf die Anzeige der Mutti gemeldet haben.

Nope... Gott ist gerecht und weise ;)...

 
 

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