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Sign of the Times, Kapitel I: Ich drehe schon seit Stunden, hier so meine Runden…

  • Seebee
  • 7. Sept. 2023
  • 3 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 6. Nov. 2023


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Wie schon im Eingangsblog erwähnt, haben sich schon eine Vielzahl von Schreibenden für mehr oder weniger sinnvolle oder redliche Zwecke an Definitionen bzw. der Festschreibung von Merkmalen für Gentrifizierung versucht.

Warum also nicht auch ich?


Daher in den nächsten Blogs meine persönliche Top 3 der sichtbaren Auswirkungen von Gentrifizierung.


1. Parkraumbewirtschaftung

Per Definition eigentlich ein Schutzmechanismus für Anwohner vor eindringenden Fremdfahrzeugen, die sich hier tagsüber (auf Arbeit) oder abends (auf der Suche nach Entspannung von der Arbeit) in meiner Straße auf den Parkplätzen breit machen. Der nervige Parktourist hat seinen Obolus dann in die Parkuhr zu entrichten, der Anwohner bekommt einen Parkausweis – allerdings nicht umsonst. Er zahlt in Berlin im Schnitt einen Euro pro Tag, damit er weiterhin dort stehen kann, wo er all die Jahre zuvor unentgeltlich stehen durfte.


Auch wenn der Anwohner knurrt, kann es durchaus Sinn machen. Denn der nicht ganz so betuchte Kieztourist erkennt, dass er mit den Öffis oder dem Rad günstiger fährt, als mit den Ticketautomaten, und der Kiezbewohner findet ohne viel Zeitaufwand noch immer einen Parkplatz.


Doch damit das Ganze grundsätzlich von vorneherein irgendwie sinnfällig wird, erfordert es auch Kieztouristen, die überhaupt in Erwägung ziehen, mit dem Auto zu uns zu kommen. Und die Hauptattraktion „Görlitzer Park“ wird von den Stoffbedürftigen mit Sicherheit nicht per PKW angesteuert.

Erste Frage daher: Warum fährt man mit seinem Auto in einen anderen Kiez und verbringt dort Stunden auf einem Parkplatz?

- Weil es dort tolle angesagte Restaurants

gibt, die man unbedingt getestet haben

muss.

- Weil es dort Theater, Clubs oder Events gibt,

die man unbedingt besucht haben sollte.

- Weil es dort coole Shops oder Malls mit

„einmal hin – alles drin“ gibt.

- Weil man dort grillen kann und das ganze

Grillgedöns leider nur im Auto bequem transportiert werden kann


Antwort: Nope, nope, nope, yes

(Zum letzten „yes“ wäre aber anzumerken, dass das nur fürs Wochenende und für die Sommermonate gilt. Und daher waren die Parkplätze an sonnigen Samstagen und Sonntagen schon immer rar.)


Was es aber bei uns gibt, sind immer mehr Bewohner, die mehr Geld in der Tasche haben, als die vorherigen. Daher wurde jetzt seit März der abgeranzte Wrangelkiez zur Parkraumbewirtschaftungszone erklärt, heißt die nördliche Seite des Görlis wird nun von Parkticketautomaten verschönert. Unsere südliche Seite blieb (bislang noch) davon verschont.


Aha, denkt sich jetzt der vermeintlich mitdenkende Leser, die Leute von drüben stehen jetzt auf euren Parkplätzen, damit sie sich die jährliche Anwohnerparkgebühr sparen, und ihr dreht jetzt verzweifelte Extrarunde.

Leider falsch - aber Danke fürs Mitspielen!

Wobei ich nicht ausschließen möchte, dass es tatsächlich dort drüben den ein oder anderen gibt, für den 360 Euro im Jahr in der Tasche den nervigen abendlichen Gang durch den Park aufwiegen. Die Mehrheit der Autos, die die Seite gewechselt haben, gehören der Mietwagenmafia namens MILES. Und wenn vier von zehn parkenden Autos in unserer Straße diesen Aufdruck tragen dann werden auch bei uns die Parkplätze knapp und die abendliche Suche kann sich durchaus auch mal ausdehnen.


Was das jetzt mit Gentrifizierung zu tun hat, kann sich jeder selbst beantworten, wenn er sich die App von MILES herunterlädt. Pro Kilometer kostet mich der Fahrspaß knapp einen Euro und wenn ich tatsächlich mal eines dieser Autos für die Fahrt zur Arbeit bräuchte, weil mein Volvi krank ist, schlüge das ganze selbst mit günstigem Tagestarif (ab 3 Stunden) mit knapp 58 Euro zu Buche. Da muss manch einer abzüglich Steuern schon den größten Teil seines täglichen Arbeitslohns für hinlegen. Es sei denn, er gehört zum oberen Verdienstsegment.


OK, vielleicht übertreibe ich ein wenig – denn Corona und die anschließende Erkenntnis, dass Homeoffice für die meisten kein Hinderungsgrund ist, effektive Arbeit zu leisten, mag auch dazu geführt haben, dass die potentiellen Kunden eines dieser schwarzen Hochglanzautos nur zweimal die Woche benötigen. Und wenn man dann die monatlichen Kosten gegen Versicherung, Steuer und Werteverlust eines Privatwagens aufrechnet, kommt man am Ende vielleicht auch nicht teurer weg.

Doch die alteingesessenen Mieter in meiner Nachbarschaft haben entweder ein kleines Auto oder gar keins, weil Fahrrad und Öffis eher zu ihrem Alter, ihrer Einstellung oder ihrer Einkommensstruktur passen. Die brauchten und brauchen MILES ebenso wenig wie ein Schwein mangels Daumen die Fahrradklingel.


Aber jetzt soll mir mal einer erzählen, dass MILES die Dinger hier nur aus Jux und Dollerei abstellt…

 
 

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