What's in your head, in your head? Zombie, zombie, zombie-ie-ie-ie...
- Seebee
- 26. Aug. 2023
- 4 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 24. Okt. 2023

Als ich vor 10 Jahren in meine Wohnung am Görli gezogen bin, lagen mehrfach am Tag aromatischen Schwaden von Gras in der Luft. An einem kalten regnerischen Tag kam es auch mal vor, dass ich im Hausflur über Kiffer gestolpert bin, die das Öffnen der Tür für einen Paketboten genutzt haben, um ihren Joint vor Feuchtigkeit zu bewahren. Wirklich gestört hat mich das alles nie.
Doch irgendwas hat sich in den letzten Jahren verändert. Der Duft von Marihuana kommt nur noch von den Balkons der Nachbarn und schnell musste ich feststellen, dass dem, was ich anfänglich für Purpfeifen gehalten hatte, nur ein beißender Gestank entströmte. Crack heißt das Zeug, das man mittlerweile bei uns auf der Straße in kleinen Grüppchen konsumiert. Dabei handelt es sich um eine speziell aufbereitete Form von Kokain, die beim Rauchen innerhalb von Sekunden einen heftigen Kick auslöst, der aber nur kurz anhält und mehrfach täglich wiederholt werden muss. Das Suchtpotential dieser Droge ist enorm. Die physischen und psychischen Auswirkungen auch.
Gut, es ist nicht nur Crack – auch Heroin und Alkohol – denn wie ich mittlerweile auch gelernt habe, gibt es den Heroin-Junkie, wie ich ihn noch aus meinen früheren Jahren kenne, so nicht mehr. Wer irgendwann auf Heroin gelandet ist und nicht über Fame und Geld eines Rockstars oder ähnlichem Topverdiener verfügt, betreibt nun polytoxen Konsum.
Da saß nämlich vor zweieinhalb Jahren im Winter eine Frau in unserer Toreinfahrt und wühlte hektisch in ihrem Rucksack herum. Freundlich, wie ich damals noch gegenüber unbekannten Menschen in unserem Haus war, fragte ich, ob ich ihr helfen könne und bekam nur ein unfreundliches ich solle mich verpissen, wenn ich nicht eins in die Fresse wolle als Antwort.
Hab ich nicht - und geantwortet, ich hätte es ernst gemeint. Da kam dann der Wunsch nach der Benutzung meiner Toilette.
So ein bisschen unwohl war mir schon, als ich sie mit nach oben nahm und ihr die Toilette gezeigt habe. Und ich habe auch definitiv gelauscht und auf eine imaginäre Stoppuhr geschaut. Aber es war nichts als ein ganz normaler Toilettengang.
Dann saßen wir noch über eine Stunde an meinem Wohnzimmertisch und sie hat mir aus ihrem Leben auf der Straße erzählt. Von Methadon, das zwar die Entzugssymptome nimmt, aber null Kick gibt, von Alk, der in harter Form ein bisschen abmildern kann, von Crack, das ihr hilft, nur einmal am Tag Heroin spritzen zu müssen. Und sie hat auch eine Pfeife davon geraucht – während ich hinter ihr die Fenster weit aufgerissen habe, um den ekligen Geruch nicht einatmen zu müssen. Dann ging sie wieder - um zwei paar warmen Socken, eine Haarbürste und einige Slipeinlagen reicher. Lebensmittel, die ich ihr auch angeboten hatte, wollte sie nicht… .
Wenn ich mich in der Rückschau an sie erinnere und sie mit den Leuten vergleiche, die ich seit knapp zwei Jahren hier immer häufiger auf den Grünstreifen an der Parkmauer oder den Betonmäuerchen um die bepflanzten Areale unserer Straße sehe, würde ich keinem von denen meine Toilette anbieten. Sie werden immer mehr, sie werden immer schmutziger, sie werden immer magerer, ihre Gesichter und Stimmen bereits weit über ihre tatsächlichen Lebensjahre hinaus gealtert. Sie nehmen uns Anwohner, wenn wir morgens auf der Türschwelle über sie steigen, kaum noch wahr – und schon gar nicht unsere Blicke, die vermutlich eine Mischung aus Mitgefühl, Ekel und Ärger über den Müll, den sie uns hinterlassen, widerspiegeln. Wobei man hier durchaus Unterschiede wahrnehmen kann. Das Ausblenden unserer Realität korreliert positiv mit der Dauer ihres Drogenkonsums und des Zustands von Geist und Körper.
Daher habe ich begonnen sie Zombies zu nennen. Sie leben in ihrer eigenen Welt, die nur noch davon bestimmt ist zu konsumieren, dazwischen irgendwie genug Geld für die nächste Dosis aufzutreiben und dann geht das Ganze wieder von vorne los. In den Pausen dazwischen wühlen sie ziellos in ihren Taschen und Rucksäcken, kratzen sich Arme und Beine wund, an denen sich Abszesse und Nekrosen bilden. Jeder Zweite von ihnen scheint diesen Sommer einen Verband zu tragen und jeder Dritte sieht aus, als würde er den nächsten Wintern nicht überleben… .
Sie sind wie lebende Tote, denn Strategien ihnen zu helfen, scheint es, wie in den meisten Zombiefilmen, nicht zu geben. Das einzige, was wir anbieten, nennt sich im Beamtendeutsch „Akzeptierende Drogenhilfe“ – und übersetzt:
24-stündiger Platzverweis als maximale strafrechtliche Konsequenz
Hilfsangebote um Infektionskrankheiten, Kriminalität und Obdachlosigkeit zu bekämpfen
Unterstützung beim Versuch einen geregelteren und achtsameren Konsum zu fördern und – falls gewünscht – Wege aus der Sucht zu zeigen.
Bereitstellung von Schutzräumen für den Drogenkonsum
Von letzteren gibt es fünf stationäre und drei mobile - für ganz Berlin! Einer davon für unsere Klientel am Kotti. Hier die die Öffnungszeiten: 10:15 – 14:00/14:30 – 17:30
Und wenn der zu hat, dann kommen sie zu uns – oder auch während der Öffnungszeiten.
Weil es bequemer ist, sich seinen Stoff im Park zu kaufen und dann nur um die Ecke zu gehen, als noch eineinhalb Kilometer bis zum Kotti zu laufen. Vor allem dann, wenn man - wie die meisten von ihnen - nicht mehr über die nötige Kraft verfügt, längere Strecken zu bewältigen.
Ich mag übrigens keine Zombiefilme – genau deshalb, weil am Ende jede Menge Menschen und jede Menge Zombies tot sind. Und bei den Menschen denken alle immer nur „Oh Nein!“ und bei den Zombies „Gott sei Dank, wieder einer weniger“. Das bemerke ich zunehmend auch bei den Menschen hier. Und jedem, den diese schleichende Kälte erwischt, lege ich den einzigen Zombiefilm ans Herz, den ich mag: „Warm Bodies“
Notfalls einfach mal googeln…


